Tätowierungen – Für immer?

Die Sonne scheint wieder und die Leute auf der Strasse zeigen Haut. Dabei kommt die eine oder andere Tätowierung zum Vorschein. Und obwohl Tätowierungen für die Ewigkeit sind, sind sie doch immer eine Momentaufnahme. Sie gefallen dem Träger im Moment in dem er sie sich stechen lässt. Der eigene Geschmack (oder die Mode) ändert sich jedoch und so kann der Wunsch entstehen, die Tätowierung loszuwerden. Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten: Entfernen oder Überdecken. So oder so, die ursprüngliche Tätowierung verschwindet. Dies verleitet den Jurist zur Frage: Darf man das?

Die meisten Tattoo-Träger werden sich diese Frage nie stellen oder sie ansonsten mit „Selbstverständlich darf ich das“ beantworten. Wahrscheinlich haben sie damit recht. Ganz so selbstverständlich ist die Sache jedoch nicht. Denn an einer Tätowierung sind mehr Personen beteiligt als allein der Träger. Nämlich: einerseits der Träger und anderseits der Urheber. Abgesehen vom seltenen Fall, dass jemand die Tätowierung selbst entworfen und sich gestochen hat, sind diese Personen nicht deckungsgleich.

Als Urheber kommen mehrere Personen in Frage. Der Tätowierer (wenn er die Zeichnung selbst entworfen und gestochen hat), der Arbeitgeber des Tätowierers (falls dieser seine Arbeit im Angestelltenverhältnis verrichtet) und der Entwerfer des Motivs zusammen mit dem Tätowierer als Miturheber.

Wieso ist es wichtig, wer Urheber ist? Weil der Urheber nach dem Schweizer Urheberrecht sogenannte Urheberpersönlichkeitsrechte hat, die er nicht abtreten kann und auf die er nicht verzichten kann. Eines dieser Rechte ist das Recht auf Werkintegrität.

Art. 11 des Urheberrechtsgesetz (UrG) besagt, dass der Urheber die ausschliessliche Befugnis hat, das Werk abzuändern oder ein Werk zweiter Hand zu erstellen. Und selbst wenn eine Drittperson vertraglich ermächtigt ist, das Werk abzuändern, so darf diese Abänderung die Persönlichkeitsrechte des Urhebers nicht verletzen. Eine Zerstörung des Werks ist regelmässig geeignet, diese Voraussetzung zu erfüllen.

Der tätowierte Mensch trägt somit das Werk eines Urhebers oder genauer, der tätowierte Teil seiner Haut ist das Werk eines Urhebers und eine Abänderung oder Entfernung (Zerstörung) braucht theoretisch das Einverständnis des Urhebers.

Wieso also darf die tätowierte Person ihre Verzierung nach Lust und Laune und ohne Rücksprache abändern und entfernen?

Die praktische Antwort dürfte die Folgende sein: Weil bei der tätowierenden Gilde kein Problembewusstsein besteht. Die wenigsten Tätowierer denken in Kriterien des Urheberrechts. Man kann es ihnen nicht verübeln; faktisch haben sie keinerlei Kontrolle über ihre Werke und sehen viele ihrer Kunden nie wieder. Es ist für sie somit praktisch schlicht unmöglich, von einer Veränderung einer Tätowierung zu erfahren, geschwiege davon, sie zu verhindern.

Die rechtliche Antwort jedoch liegt in den Bereichen Vertrags- und Persönlichkeitsrecht.

In der Schweiz beschränkt sich die vertragliche Regelung zwischen dem Urheber der Tätowierung und dessen Träger in der Regel auf das Minimum. Es werden lediglich die Eckdaten des Auftragsverhältnisses geregelt (Motiv und Platzierung der Tätowierung und Entlöhnung des Künstlers). Zusätzlich darf der Kunde noch einen Haftungsausschluss unterzeichnen. Fragen des Urheberrechts werden aber nicht thematisiert.

Auf Grund dieser lückenhaften Regelung muss die Vereinbarung Tätowierer-Kunde ausgelegt werden. Als eine der Auslegungshilfen können sogenannte Geschäftsusanzen dienen, d.h. es kann davon ausgegangen werden, dass mangels anderer Abrede das gelten soll, was in der Szene/Geschäftsbranche üblich ist. Hier dürfte der eine Schlüssel zur Beantwortung der gestellten Frage liegen: In der Tattoo-Szene ist das sogenannte „Cover-up“ oder die Ergänzung einer Tätowierung üblich. Das Ersetzen oder Ergänzen von Tätowierungen gehört zum Standardrepertoire eines jeden Tätowierers. Der Kunde darf daher davon ausgehen, dass der Tätowierer das Recht, das er sich nimmt, auch seinem Kunden einräumen wollte.

Der zweite Teil der Antwort auf die eingangs gestellte Frage ist im Persönlichkeitsrecht zu finden. Art. 27 ZGB erklärt Verträge für nichtig, die gegen die Sittlichkeit verstossen. Als Verstoss gegen die Sittlichkeit gilt auch die übermässige Bindung. Übermässig bindet sich, je nach Intensität, wer die Verfügungsgewalt über Elemente seiner Persönlichkeit – insbesondere die körperliche Integrität – vertraglich abtritt. Sprich, kein Schweizer Gericht würde das Argument eines Tätowierers schützen, dass seine Kunden sich verpflichtet hätten, ihr Werk bis am Ende ihrer Tage auf Ihrer Haut zu tragen. Nach gegenwärtigem Schweizer Rechtsverständnis ginge das zu weit. Der Ausdruck „meine Haut, mein Wille“ findet somit im Recht seine Stütze.

Über Titus Bosshard

Attorney at law. Partner at Sorg Bosshard Neth.
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